GUS-Soldaten kehren heim

Ratlos sieht Oberst Nikolai Schelowski vor seinem Hubschrauber. Ein wenig verloren wirkt der durchtrainierte Hüne, der von seinem Kommandeur als einer der besten Piloten gelobt wird, wenn er über seine Zukunft redet. „Ich weiß nicht, wie und wo ich leben soll“, meint er. Mit den Kollegen macht er einen letzten Maschinencheck, bevor die Hubschrauberstaffel sich aus dem kleinen Ort nördlich von Magdeburg Ende Mai nach Nowosibirsk in West-Sibirien zurückzieht.

Erst 42 Wohnungen seien am neuen Standort bezugsfertig, aber die 600 Familien der Einheit können nicht länger warten. Bis zum 31. August soll der letzte russische Soldat Deutschland verlassen haben. „Wenn wir nicht einmal eine Wohnung haben, verliert unser Dienst jeden Sinn“, zeichnet Schelowski ein vernichtendes Bild über die Motivation der abziehenden Truppen.

Auch materiell muß der grauhaarige Pilot auf dem neuen Job erhebliche Verluste hinnehmen. Während er in Ostdeutschland zuletzt monatlich 1300 Mark nach Hause gebracht hat, müssen er und seine Familie demnächst mit 425 000 Rubel (etwa 400 Mark) auskommen. „Die Wohnungsfrage ist das Problem Nummer eine“, räumt General Juri Iwanuschkin im Hauptquartier der Westgruppe in Wünsdorf bei Berlin ein. Wie der Chef der Westgruppe, Generaloberst Matwej Burlakow, schimpf auch Iwanuschkin auf Michail Gorbatschow, der den Abzug innerhalb von vier Jahren vereinbart hat. „Das ist ein schlechter Witz.“

Lediglich der in Karlshost stationierten Elite-Einheit stehen offenbar keine größeren Probleme bevor. In der für russische Verhältnisse blitzblanken Musterkaserne werden Marschformationen für die Abschiedsfeier geübt. „Hier ist es gut, aber daheim ist es besser“, meint ein junger Gefreiter vor dem Abzug nach Kursk in Südrußland. Dort gibt es für seine Männer nach den Worten des stellvertretenden Kommandeurs ausreichend Wohnraum.

Für die anderen hat der Stab in Wünsdorf eine Kooperative gebildet, die aus Sondermitteln der Truppe – durch den Verkauf von Metallen und Beton – beim Ankauf von Wohnungen hilft. 75 Prozent der Finanzierung übernimmt die Truppe und 25 Prozent der Soldat.2000 zusätzliche Wohnung sind so bereits organisiert worden.

Auch Oberst Dmitri Schewtschkenko in Mahlwinkel hofft auf dieses Modell. „Anders kann ich mir bei den Preisen von mehr als 20 000 US-Dollar für eine kleine Wohnung in Rußland nichts leisten. “In dem Ort bei Nischni-Nowgorod, wohin der größte Teil der Division verlegt wird, gebe es noch nicht einmal für jeden Zweiten eine Bleibe. „Für die einfachen Soldaten ist dort noch gar nichts gebaut.“

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 09.05.1994

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Weiterführende Quelle: Nischni Nowgorod bei Wikipedia

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