Seit Öffnung der Grenzen sind auch in den Ländern Osteuropas die Gräber der über drei Millionen deutschen Gefallenen zugänglich. Ideologie und Politik ließen dies bis 1990 nicht zu. Mitarbeiter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge sind jetzt bei Wolgograd dabei, den ersten Soldatenfriedhof anzulegen. Die Erinnerung an Krieg und Leid soll gegenwärtig bleiben.

Nein, ein Kult sei die Sorge um die Kriegsgräber nicht. Als Argument hat der Präsident des Volksbundes, Hans-Otto Weber, die Arbeit im Westen parat: 370 Friedhöfe mit 1,4 Millionen Kriegstoten sind in Ländern wie Frankreich oder Belgien entstanden. „Aber es wurden nicht nur Friedhöfe gebaut“, betont Weber. “Ebenso wichtig war die über den Gräbern entstehende Versöhnung und Freundschaft zwischen ehemaligen Kriegsgegnern.“

Gräber als Mahnmale dafür, wie der Krieg in junges, ungelebtes Leben eingriff, es auslöschte. Das ist auch für Gerhard Holz, Sekretär des Bundes, die politische Komponente dieser Arbeit. „Über 120 Millionen Menschen bezahlten die beiden großen Kriege unseres Jahrhunderts mit Leben und Gesundheit“, sagt Holz. „Für die jüngeren Generationen, die das nicht selbst mitmachen mußten, ist die Auseinandersetzung mit den schrecklichen ‚Resultaten‘ von Krieg und Gewalt eine wichtige Erfahrung.“

Der Volksbund wurde als privater, gemeinnütziger Verein vor 75 Jahren gegründet. Die humanitäre Organisation widmet sich der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. Seine Arbeit finanziert er durch Beiträge und Spenden. Gedenken konkret – das sind auch Fahrten zu den Kriegsgräbern, die der Bund organisiert, das sind Jugendlager zur Pflege von Soldatenfriedhöfen und das sind Informationsveranstaltungen an Schulen. Der Zuspruch im Osten ist groß. Allein in Sachsen-Anhalt hat der Bund über 1000 neue Mitgliede. Nach Jahren des Schweigens zu diesem Thema stellen jetzt viele Familien Nachforschungen an in der Hoffnung, etwas über das Schicksal vermißter Angehöriger zu erfahren.

„Die politische Entwicklung hat 40 Jahre verhindert, daß wir uns im Osten um die Gräber der drei Millionen Soldaten kümmern konnten, die von dort nicht mehr nach Hause zurückkehrten“, schätzt Weber die Situation heute ein.  „Das ist jetzt möglich. Aber die Schwierigkeiten sind immens: Viele Kriegsgräberstätten sind nicht mehr auffindbar, zerstört, überbaut oder geplündert, so der Präsident.

Daß es höchste Zeit wird, bestätigt auch Gerhard Holz. Nicht nur, daß die Menschen, die über die Lage der Gräber noch Auskunft geben können, immer älter werden – eine Tatsache sei auch, daß vor allem in Rußland Grabräuber die Erkennungsmarken entwenden und an Sammler oder Touristen verkaufen. „Dies bedeutet aber, daß die Gefallenen nicht mehr identifiziert werden können. Uns bleibt nur noch die traurige Pflicht, die Gebeine zusammenzutragen und sie namenlos zu beerdigen.“

Diese Aufgabe übernehmen junge Leute, 50 an der Zahl – die sogenannten Umbetter, die mit 150 Helfern vor Ort sich der Kriegsgräber annehmen. Helmut Wehmeyer, der Leiter der Bauabteilung, sieht die größten Fortschritte in Ungarn, wo die meisten Sammelfriedhöfe ausgebaut sind, in Tschechien, in der Slowakei und im Baltikum. Aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden die Kräfte abgezogen.

„Arbeitsschwerpunkt ist Rußland“, so Wehmeyer. Die Probleme liegen in der Zahl der Toten: 2,2 Millionen Gefallene oder verstorbene Kriegsgefangene. Wehmeyer verdeutlicht die Aufgabe: „In Frankreich habe wir in 20 Jahren 22 Sammelfriedhöfe für rund 250 000 Tote angelegt. Allein bei unseren russischen Vorhaben St. Petersburg, Nowgorod und Wolgograd geht es um 150 000 Tote.“

Gerhard Holz beschreibt die Vorgaben. Kern des Konzepts seien zentrale, gut erreichbar Sammelfriedhöfe an Stellen, die besonders hart umkämpft waren. Dorthin werden die Gebeine der Kriegstoten aus der jeweiligen Region umgebettet. Alle Stätten zu erhalten und auszubauen, sei nicht möglich.

Auch an die vielen Kriegsgefangenenfriedhöfe müsse man denken, so Holz. 14 000 Lagerstandorte seien über das Territorium der ehemaligen UdSSR verstreut. Erst vor kurzem haben die Deutsche Dienststelle und der Suchdienst des DRK Zugang zu den Akten der Gefangenenlagererhalten. Die Auswertung laufe auf Hochtouren, erste Schicksale konnten bereits geklärt werden. Einige der großen Anlagen würden als Sammelfriedhöfe ausgebaut, kleinere Stätten in schlichter Weise gekennzeichnet.

Bildunterschrift: Nur diese Hütten erinnern an die deutschen Kriegsgefangenen in Krasnokamsk (Ural). Ihre Gräber wurden dem Erdboden gleichgemacht.
und: Kriegsgräber – vor allem junge Leute sehen in ihrer Erhaltung und Pflege einen Beitrag zur Völkerverständigung

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 20.05.1994

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Weiterführende Quelle:  Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

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