Zur Dorfbevölkerung in Preußen östlich der Elbe

von Christian Zander

 

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde der Begriff „Ackermann“ in amtlichen und kirchlichen Urkunden in Preußen östlich der Elbe zur Kennzeichnung einer bestimmten Schicht innerhalb der Dorfgesellschaft gebraucht. Die „Dorfgemeinde“ hatte einen rechtlichen Status, besaß z.B. das Eigentum an der Allmende, verfügte aber u.U. auch über Rechtstitel, d.h. beispielsweise das  Recht der Nutzung eines Waldes oder über die Höhe der zu leistenden Dienste für einen adligen Grundherrn. Mitglied dieser Dorfgemeinschaft konnte nur sein, wer über Grundeigentum verfügte. Dies konnte Eigentum sein, konnte aber auch belehnt sein, also von einem adligen Grundeigentümer stammen. Die Dorfgemeinde hatte auch dann einen zusammenfassenden Charakter im Sinne demokratischer Willensbildung und Entscheidungsfindung, wenn nicht ein Grundherr als Lehensherr für die Ackermänner eines Dorfes existierte, sondern zwei oder sogar mehrere gleichzeitig.

Die Ackermänner waren bei allen Fragen der Dorfgemeinschaft stimmberechtigt (z.B. welcher Gemeindebulle angeschafft werden – oder ob ein Prozeß gegen die Nachbargemeinde angestrebt werden sollte, wenn Gemeindegrenzen strittig waren…) – waren aber auch im Unterschied zu den landlosen Bewohnern des Dorfes steuer- und abgabe- und spanndienstpflichtig !!!

Unterschieden wurden die Ackermänner nach der Größe ihres Grundbesitzes: das Maß war die „Hufe“ , d.h. genügend Boden, um eine Familie zu ernähren (Dies entsprach in der Gegend um Plaue etwa 20 Hektar). Es gab Einhüfner, Zweihüfner, die Lehnschulzen waren oft Vierhüfner. Durch Erbteilung usw. entstanden auch Landbesitzer mit weniger als einer Hufe, sogenannte Kossaten, die oft noch als Handwerker usw. arbeiten mußten, um leben zu können. Ihr Landbesitz und ihre „Berechtigungen“ (z.B. auf die Haltung von einer genau festgelegten Anzahl von Kühen, Schweinen, Gänsen usw.) waren so klein, dass er mit einem Pferd oder einer Kuh/Ochsen bearbeitet werden konnte – sie besaßen also nicht das Recht auf ein vollwertiges Gespann ( 2, manchmal auch drei Pferde). Dafür aber oft das Recht, ein Handwerk auf dem Dorf ausüben zu dürfen. Diese Rechte waren nicht an die jeweilige Person gebunden, sondern an den Boden. Wer ihn besaß oder verliehen bekommen hatte, war Kossat und hatte genau festgelegte Pflichten aber auch Rechte.

Die Abgaben und feudalen Verpflichtungen richteten sich dann nach der Größe des Grundbesitzes und seiner Rechtsform. Denn es gab überaus verschiedene Lehensformen – oft sogar in einem Dorf bei einem Grundherrn.

Die landlosen Bewohner (Häusler oder auch Büdner genannt) hatten keine Stimme in der Dorfgemeinschaft, durften keine Zugtiere besitzen, konnten aber für Frondienste herangezogen werden.

Kossaten, Büdner und Häusler waren für die Dorfgemeinschaft wichtig, weil sie z.B. die Versorgung mit handwerklichen Produkten sicherstellten ( Schmied/ Wagner, Müller, Zimmermann, Schuster) , bzw. (Lohn-)Arbeitskräfte für die Höfe garantierten. So waren die Büdner /Häusler oft als Auslagerungen größerer Höfe entstanden, die  Baumaterial und ein wenig Gartenland (2500 m²  oder einen Morgen) zur Verfügung stellten, dafür aber fest  vereinbarte Arbeitszeiten gegen Lohn verlangten. Durch die Landreformen ab 1811 wurden viele ehemalige Kleinbauern bei der Auflösung der feudalen Abhängigkeiten durch erzwungene Landabgaben an die Feudalherren um die bäuerliche Selbständigkeit gebracht und sanken in die unterbäuerliche Schicht der Büdner ab. Der Landbesitz der Häusler war noch geringer als der der Büdner, ihnen reichte oft der Spaten als Ackergerät.  Die Hirten eines Dorfes waren oft lediglich Häusler.

Unterhalb dieser besitzenden Schichten befanden sich die Knechte und Mägde, die auf ein Arbeitsverhältnis angewiesen waren und bei freier Kost und Logis auf den Höfen – meist als Mitbewohner in den Bauernhäusern – untergebracht waren. Selbstverständlich durften diese nicht heiraten, denn das Heiratsrecht war an den Besitz einer Wohnung geknüpft („Herdstelle“). Bei einem „Erbrecess“ für einen Vierhufenhof im Jahre 1838 wurden die Lebensbedingungen dieser Schicht für das Dorf Nitzahn beschrieben:

„ Es wird noch bemerkt, das bisher auf dem Gute 4 Knechte und 2 Mägde gehalten sind und erhalten die Knechte und Mägde an Lohn mit Hinzurechnung der Leinwand …

der große Knecht        31 Thaler

der zweite                   26  *

der dritte                     15  *

der 4.te Knecht           13  *

die Magd jede             18  * “[1]

Diese Lohnabhängigen wurden meist mit jährlichen Verträgen von Martini zu Martini (11.11. des Jahres) eingestellt und erhielten neben freier Verpflegung und Unterkunft einen Geldbetrag, in den aber noch die Lieferung einer bestimmten Menge Leinwand einberechnet war.

 

Der Vierhufenhof, der ungefähr 80 ha Fläche umfasste, wurde 1838 mit 6 Lohnarbeitskräften bewirtschaftet, dazu kamen noch der Bauer selbst und seine Frau, dazu noch seine Familienangehörigen, Kinder, Schwestern. „Die Weide wird mit 10 Kühen, 10 Stück Jungvieh und etwa 150 bis 200 Schaafe benutzt. Auch werden 6 Pferde auf der Weide gehalten und 2 im Sommer im Stall gefüttert.“  Dazu kamen noch „drey Stück Schweine, vier Ferkel. [2]

 

Eine besondere Stellung nahmen ein Freihof und ein Freigut im Feudalsystem auf dem Dorf ein. Im Brockhaus wird das so definiert: „Es handelt sich um das Landgut eines Freibauern, das in der grundherrlichen Zeit im Unterschied zu den grundherrlich gebundenen Höfen durch Befreiung von Leistungen öffentlicher und grundherrlicher Art (Diensten, Abgaben) vor anderen ausgezeichnet war.“  Zur Entstehung dieser privilegierten Höfe heißt es: „Es gab Freihöfe (sattelfreie Höfe, Siedelhöfe, Turmhöfe), deren Inhaber einst beim Heeresaufgebot als leichtbewaffnete Reiter verpflichtet, aber von den öffentlichen Lasten der Bauern wie Geschoß-, Bau- und Fuhrdiensten befreit waren.“ Da es sich um eine Belohnung im feudalen Lehnsystem handelte, konnte es auch andere Gründe geben, etwa als Belohnung für besondere Verdienste für den Grundherrn. So gab es auch „bäuerliche Freigüter (z.B. die ‚Freihufen‘), deren Besitzer persönlich freien Standes und mit grund- oder gutsherrlichen Leistungen nicht belastet waren. Das Recht am Freihof konnte Eigentum, Lehnsverhältnis oder ein besonders günstiges Leiherecht sein. Die Eigenschaft als Freihof schloß gewisse Leistungen für die Gesamtheit nicht aus.“[3]

 

Ausgespart bei der Betrachtung der verschiedenen Schichten eines preußischen Dorfes ab dem 18. Jahrhundert blieb die Stellung der Lehrer, der Küster und Pfarrer sowie der adligen Grundherrn. Diese konnten unmittelbarer Teil der Dorfbevölkerung sein, wenn sie ihren Sitz im Dorfe hatten. Oft aber „besaßen“ sie das Dorf oder Teile davon lediglich und waren nur durch Machtverhältnisse gegenwärtig.

 

[1]    Zander, Christian: Fundstücke, Dokumente und Briefe einer preußischen Bauernfamilie (1747-1953); Hamburg 2015, S.249.

[2]    Ebd., S. 246.

[3]    Brockhaus Enzyklopädie,Wiesbaden 1968, Bd.6 ; S. 565.

 

Der Artikel wurde von Hernn Zander für diesen Blog geschrieben, wofür ich mich recht herzlich bedanke.
Wer tiefer in die Geschichte des ländlichen Lebens im 18. und 19. Jahrhundert eintauchen möchte, dem sei das in den Quellen genannte Buch wärmstens empfohlen. Dem Leser werden nicht nur unzählige historische Fakten verständlich vermittelt, sondern er kann auch an ganz privaten Familiengeschichten teilhaben.