50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte die Öffnung der Moskauer Staatsarchive den Zugang zu Briefen deutscher Soldaten von der Ostfront, die die Empfänger nie erreichten und deren Absender zumeist den Tod fanden. Vor allem in der für den Deutschen wohl sentimentalsten Jahreszeit – an Weihnachten – wird eine Sicht frei, die von keinen Parolen, sondern von der zunehmend erfahrenen Sinnlosigkeit des Krieges geprägt war.

Unser Fest war sehr mager
Lieber Willi!                                      3.1.42
Die Lage, in der wir seit Mitte November stecken, und die dazugehörigen Strapazen und Ereignisse haben bei mir die Lust am Schreiben fast zum Erliegen gebracht. Wenig zu essen, fast nichts zu rauchen, und seit November fast keine Post und keine Päckchen. Gerade diese vermisse ich doch sehr, sehr schmerzlich. Unser Weihnachtsfest war sehr mager, so, wie ich es noch nie erlebt habe; dasselbe zu Silvester. Alkohol durften wir mal riechen, da war er schon alle. Dafür hat uns der Russe in Ruhe gelassen, und das war schon eine Masse wert. Aber auch diese Zeit wird einmal vorüber gehen, und dann hoffe ich, wieder mal ordentlich aufleben zu können.
Dein Bruder Erhard

Pakete wie vom Himmel her
Liebe Paula!                                      7.12.42
Das war eine große Freude, als eure Pakete kamen. Zu essen hatten wir nichts, und da kamen sie wie vom Himmel her. Die Lebkuchen und die Brötchen waren sehr gut, auch die Wurst.
Liebe Paula, in ein paar Tagen ist wieder Weihnachten, das schönste Fest der Familie, und ich darf wieder nicht bei Dir und bei unseren Kindern sein. Wie sehne ich mich nach Hause. Wenn es wenigstens Urlaub geben würde, aber jetzt ist alles gesperrt. Hier ist es schon ziemlich kalt, Schnee haben wir auch schon viel. Hoffentlich bekommen unsere Kinder auch dieses Jahr etwas zu Weihnachten, es ist ja alles sehr rar. Wie schöne wäre es, wenn ich bei der Bescherung dabei sein könnte.
Dein Josef

Es bleibt bei der Vorfreude
Liebe Mutter!                                   8.12.42
Es ist schon lange her, daß ich keine regelmäßige Post mehr bekomme. Das liegt an der schwierigen Transportlage. Aber dafür wird die Briefpost von der Front zur Heimat sofort durch Flugzeuge befördert.
Die Weihnachtspäckchen haben wir alle noch nicht erhalten, noch keine Einheit, die hier in der Festung Stalingrad liegt. Ich rechne auch in diesem Monat nicht mehr damit. Also bleibt es bei der Vorfreude. Unsere Rationen sind auf Grund der Nachschubschwierigkeiten weit über die Hälfte herabgesetzt worden. Einige Tage gab es nur 50 Gramm Brot, das heißt morgens einen Bissen und abends einen. Seit gestern ist die Brotration auf 200 Gramm erhöht worden. Es hängt alles vom Wetter ab, denn bei Nebel können die Transportmaschinen wegen Vereisungsgefahr nicht fliegen.
Auch das Mittagessen ist nicht mehr so, wie es für diese Jahreszeit sein müßte. Dünn wie Wasser. Man wartet schon während der Mahlzeit auf die nächste. Es ist die siebte Woche, aber auch diese Krise muß und wird überwunden werden. Jede Brotkrume ist kostbar geworden, die man früher achtlos vom Tisch gestrichen hat. Noch nie habe ich das tägliche Brot so schätzen gelernt wie in diesen Wochen. Kartoffeln erscheinen mir nur noch als Traumbilder. Die Erde schenkt uns hier aber auch nicht das geringste an Essbarem, nur Steppe. Seither habe ich mir aus einem kleinen Mehlvorrat etwas zusammengebraut. Eine einfache Mehlsuppe genießt man als großartige Delikatesse. Wenn Du mal ein Pfund Mehl vom Bäcker bekommst, dann schicke es nur.
Dein Heiner

Ohne Baum und ohne Kerzen
Liebe Irma!                                       Osten, d.30.12.42
Wir hatten dieses Jahr ein trauriges Weihnachtsfest ohne Post, ohne Tannenbaum, ohne Kerzen. Nichts haben wir gehabt, was auf Weihnachten hindeuten könnte. Aber ich bin froh, daß Ihr zuhause wenigstens das Fest mit Ruhe begehen konntet. Wie oft hier das Wort Heimat am Heiligen Abend gesprochen worden ist, weiß ich nicht, aber sehr oft. Ich liege mit einem im Bunker zusammen, der ist 22 Jahre alt. Der Junge hat Heiligabend geweint wie ein kleines Kind. Ich sage Dir, uns allen haben die Tränen in den Augen gestanden, als wir hörten, es gibt keine Post mehr. Trotzdem ich erst 21 Jahre alt bin, habe ich auf die Zähne gebissen und gesagt: „Vielleicht kommt morgen Post“, auch wenn ich selbst nicht daran glaubt. So war bei uns das Weihnachtsfest 1942, und ich werde es in meinem Leben nie vergessen.
Es grüßt Dich                                    Dein Theo

Auf Posten gestanden
Liebe Tante!                                     31.12.42
Wir sind noch im Kessel Stalingrad. Nachschubwege außer Luft alle abgeschnitten. Schon sechs Wochen keine Post. Die Verpflegung sehr mau, zum Sterben zu wenig, zum Leben zu viel. Heiligabend habe ich auf Posten gestanden, dabei waren meine Gedanken ganz daheim. Ein Weihnachtsfest ohne Post, ohne Päckchen, ohne Zigaretten, nicht einmal genügend Brot hatten wir. Wir ernähren uns hauptsächlich von Pferdefleisch. Ich selbst habe Pferdefleisch vor Hunger schon roh gegessen. Keine Aussicht, daß es besser wird. Heute ist es Silvester, ich will gerade das neue Jahr erwarten. Habe mir ein paar Pferdeklopse gebraten, sie schmecken wunderbar, und zu trinken habe ich mir einen Eimer Wasser geholt.
Herzlichst
Euer Walther

Wenn wieder Frieden ist
Liebe Eltern!                                     Den 6.1.43
Sende Euch die besten Grüße aus der Kalmückensteppe. Heute ist nun das schöne Fest der Heiligen Drei Könige. Wenn man so bedenkt, liebe Eltern, wie die schönen Feste einem an der Nase vorbeigehen. Ein Tag ist wie der andere, ich bin es so leid, ich will raus aus diesem Wahnsinn. Jeden Tag denke ich an zu Hause, das könnt ihr mir glauben. Wenn mal wieder Frieden ist und ich wieder bei euch bin, gehe ich keinen Schritt mehr heraus – ich habe genug gesehen von der Welt. Seid nun vielmals gegrüßt von
Eurem Josef

Der Russe fühlt sich sehr stark
Lieber Jopp!                                     Rußland, 8.1.43
Leider habe ich nicht das erhoffte Glück gehabt, Weihnachten bei meinen Lieben zu verbringen, vielmehr hier in Stalingrad in den Bunkern die Tage verbracht.
Sicher hat Du von den schweren Kämpfen zwischen Wolga und Don und hier um Stalingrad gehört. Der Russe fühl sich sehr stark, und er hat uns so gut wie eingeschlossen und liefert uns harte Kämpfe. Dadurch haben wir schwer unter der Versorgung zu leiden. Schon wochenlang haben wir keine Post erhalten, sogar die schöne Weihnachtspost und Päckchen. Jetzt im Winter, bei großer Kälte, ist das alles keine Kleinigkeit, und so müssen wir uns noch in unser Schicksal fügen. Du kannst Dir vorstellen, daß wir gerade keine vergnügten Feiertage verbracht haben. Es ist nun schon das vierte Weihnachtsfest, welches ich fern der Heimat verbrachte. Im kommenden Februar werden es zwei Jahre, wo ich das letzte Mal zu Hause war. Brauche Dir nicht weiter von meiner großen Sehnsucht erzählen, auch nach meinem kleinen Bub, den ich fast kaum kenne. Auf den Bildern steht er ja ganz prächtig drauf, da kann man direkt stolz sein. Und gerade deshalb habe ich solch großes Verlangen, ihn mal persönlich kennenzulernen. Mit besten Grüßen
Dein Schwager Heini

Die Hoffnung schwindet
Liebe Mutti!                                      12.1.43
Wir leben hier in sehr traurigen Verhältnissen. Es ist nicht zu schildern, und wer weiß, wie lange noch. Viele Kameraden sind schon tot und verwundet. Auch erfrorene Glieder. Wenn nur erst wieder mal Post käme und die lieben Päckchen. Manchmal ist mirs zum Verzweifeln. Die Hoffnung auf Befreiung schwindet. Sowas zu erleben hätte ich nie geglaubt und meine Gesinnung: Nie wieder Krieg. Ich wundere mich nur, wie ich das aushalte. Der liebe Gott hat mich bis jetzt beschützt, hoffentlich auch weiterhin. Mit innigen Küssen                                Fritz

Man ist bloß noch ein Wrack
Liebe Eltern!                                     Rußland, 10.1.43
Wie habt Ihr die Feiertage verlebt? Ich in den bescheidensten Verhältnissen in vorderster Linie und bei leerem Magen. Man ist bloß noch ein Wrack. Es wurde uns ja versprochen, daß sie uns nachher aufpäppeln wollen, aber ich glaube nicht daran. Wir sind schon alle ganz verzweifelt. Ich kann dem Herrgott nicht genug dafür danken, daß er mir bis jetzt noch das Leben gesch (Brief bricht ab)

Die Texte sind dem Rowohlt-Taschenbuch „Ich will raus aus diesem Wahnsinn – Deutsche Brief von der Ostfront“ entnommen (Reinbek 1993). Die Briefe lagerten im Moskauer geheimen Staatsarchiv. Sie stammen aus erbeuteten Feldpostämtern oder sind toten Soldaten abgenommen worden. Die im Buch beibehaltene originale Schreibweise wurde entsprechend heutiger Regeln sinnwahrend redigiert.

Bildunterschrift: Inmitten des Infernos: Die Lebenszeichen nach Hause gelten dem ganz normalen Alltag und dem verzweifelten Wunsch nach einem Wiedersehen (oben). Von Todesahnungen überschattet: Weihnachten 1942 in Stalingrad (oben rechts). Liebevoll wird ein Plastikchristbaum geschmückt (rechts).
Fotos aus: Deutsche Briefe von der Ostfront; Entscheidung vor Stalingrad

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 23.12.1994

Foto in Originalgröße

Weiterführende Quelle: Buch „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“ zum Download

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