Die Wende hat manches Gute, aber auch viel Negatives gebracht. Der Mensch wird nur noch als Konsument gewertet, ansonsten ist das Geld der Maßstab aller Dinge. Ist der Begriff „Beitrittsländer“ nicht eine groteske Bezeichnung mit Blick auf unsere deutsche Geschichte und auf die übereilte deutsche Wiedervereinigung?
Die 40jährige Episode der Teilung Deutschlands sollte nicht durch unnatürliche Verschiebung der Schwerpunkte zu weiteren Spannungen und Entfremdungen Anlaß geben. Die politischen und kulturellen Schwerpunkte Deutschlands waren in dem ehemaligen Mitteldeutschland: Potsdam (Berlin als Geburtsstätte von Preußen und Deutschland – Friedrich der Große und Bismarck). Von der Lutherstadt Wittenberg ging die Reformation aus. Weimar war mit Goethe und Schiller, Wieland, Herder und anderen das kulturelle Zentrum Deutschlands. Auf der Wartburg übersetzte Luther die Bibel und schuf damit die Grundlage der hochdeutschen Sprache. Eyke von Repgow, bei Magdeburg beheimatet, war der Verfasser des Sachsensspigels, des ältesten deutschen Rechtsbuchs. Auf musikalischem Gebiet waren Bach, Händel, Schütz, Telemann, Schumann, Wagner und andere führend. Sie alle stammen aus Mitteldeutschland, ebenso die Philosophen: I. Kant, Hegel, Nietzsche, Schopenhauer und so weiter.
Die westliche Wohlstandsgesellschaft verführt meines Erachtens zu Dünkel und Überheblichkeit. Man hält sich für unfehlbar und unübertrefflich. Im Evangelium ist zu lesen: „Eher geht ein Kameldurch das Nadelöhr, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt.“ 1949 wurde Deutschland geteilt. Im Westen wurde eine neue Währung eingeführt, und damit war das Tischtuch zerschnitten. Wissenschaftlicher und Fachleute in Ostdeutschland mußten fünf und mehr Jahre in Rußland Aufbaudienste leisten. Mit Hilfe des Marshallplans hatte man im Westen einen leichteren Start für den Wiederaufbau. 1990 wurden unsere Spar- und Altersrücklagen zur Hälfte gestrichen mit der Begründung, daß die Ostmark nichts wert sei. Für uns war es aber der Ertrag von 40 Arbeitsjahren. Sollen wir allein den Verlust des Zweiten Weltkrieges tragen? Wie glauben wir zu einer lebendigen europäischen Gemeinschaft beitragen zu können, wenn wir noch nicht mal im eigenen Lande die Gegensätze und Spannungen in den Griff bekommen?
K. Kaltwasser, Halle
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 13.11.1993
Weiterführende Quelle: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
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