Vor Mißachtung Rußlands gewarnt – Streit um Verabschiedung
Die Kontroverse um die Verabschiedung der russischen Truppen aus Deutschland spitzt sich zu. Rußlands Präsident Boris Jelzin warnte den Westen anläßlich der Feiern zum 49. Jahrestag des Sieges über Deutschland davor, Rußland zu mißachten. „Rußland muß man stets mit Sie ansprechen“, sagte Jelzin vor Kriegsveteranen.
Jelzin bekräftigte, daß Rußland bei der Überwindung des Faschismus in Europa den höchsten Blutzoll entrichtet habe. „Gerade Rußland hat die braune Pest gestoppt. Es war Rußland, das die Welt gerettet hat“, sagte er.
Führende SPD-Politiker warfen der Bundesregierung gestern mangelndes Fingerspitzengefühlvor. SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose sprach sich dafür aus, die Russen auf gleiche Weise zu behandeln wie die West-Alliierten. Die Russen fühlten sich nach der bisherigen Planung „unter Wert“ verabschiedet. Auch sei Weimar, wo ein Festakt vorgesehen ist, nicht von den Russen befreit worden, sondern von Amerikanern.
SPD-Parteichef Rudolf Scharping sprach sich gegen die gleichrangige Verabschiedung aller Alliierten aus. Zugleich wandte er sich aber auch gegen die von Bonn beabsichtigte Form der Abschiedsfeier und schlug vor, Russen wie West-Alliierte jeweils zu getrennten Abschiedsfeiern als Gäste einzuladen. Er warnte davor, „den Abzug der russischen Truppen zu einer Gelegenheit der Demütigung verkommen“ zu lassen. „Immer wenn sich der Historiker an der Spitze der Bundesregierung mit der Vergangenheit beschäftigt, gibt’s Probleme“, bemängelte Scharping.
Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Boris Jelzin wollen bei dem morgen beginnenden Treffen endgültig über den Charakter der Feierlichkeiten entscheiden. Eine gemeinsame Veranstaltung mit den West-Alliierten werde es trotz der Forderung verschiedener Politiker nicht geben. Das bestätigen enge Kanzler-Mitarbeiter. Rußlands Truppen – gegenwärtig noch etwa 35 000 Mann – sollen am 31. August im Beisein Kohls und Jelzins am sowjetischen Ehrenmal in Treptow verabschiedet werden, die Soldaten aus den USA, Frankreich und Großbritannien am 8. September.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 10.05.1994
Weiterführende Quelle: Erklärung der Bundesregierung zur Verabschiedung der russischen Truppen
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