Vor 75 Jahren, im Februar 1919, blickte ganz Deutschland hoffnungsvoll auf Weimar. Hier sollten, beflügelt vom Geist der deutschen Klassik, die Weichen für die politische Zukunft des von Krieg und Hunger zerrütteten Landes gestellt werden. Aus den Wahlen zur Nationalversammlung im Januar gingen die Sozialdemokraten als stärkste Partei hervor, erreichten aber nicht die absolute Mehrheit, so daß sie auf die Zusammenarbeit mit den bürgerlich-demokratischen Parteien angewiesen sind. Anspruchsvolle Ziele einer ehrgeizigen Verfassung kollidieren mit der sozialen Wirklichkeit. Die neue Republik krankt trotz vieler Reformen an den überkommenen alten Strukturen. Ihr erster Präsident ist Friedrich Ebert.
Ein von Toleranz und Friedenswillen geprägter Satz machte damals die Runde: „Ich will und werde als der Beauftragte des ganzen deutschen Volkes handeln, nicht als Vormann einer einzigen Partei.“ So lautete das verheißungsvolle „Regierungsprogramm“ eines eben ins höchste Staatsamt aufgestiegenen Handwerksmannes. Und, selten genug bei Politikern, der Mann hielt Wort: Nicht Ideologen und Zukunftsvisionen bestimmten seine Amtszeit, sondern politischer Realitätssinn und das ehrliche Bemühen um Ausgleich der politischen Gegensätze.
Vor 75 Jahren hatte Friedrich Ebert, der große und oft verkannte Staatsmann der ersten Stunde, seine erste Woche im Amt als Reichspräsident der jungen deutschen Republik hinter sich. Mit überwältigender Mehrheit war der gemäßigte SPD-Politiker von den Abgeordneten der in Weimar tagenden Nationalversammlung am 11. Februar 1919 zum Präsidenten gewählt worden.
Zu beneiden war der Führer der Mehrheitssozialdemokraten um diesen Posten jedoch nicht. Von vielen Seiten, auch von der eigenen Partei angefeindet, mußte er Fehlurteile und Schmähworte wie „Erfüllungspolitiker“, “Verräter der Arbeiterklasse“ oder „Landesverräter“ über sich ergehen lassen. Doch eines konnten ihm selbst seine Kritiker nicht absprechen: Der bis 1925 amtierende erste Präsident der Weimarer Republik lenkte das kenternde Staatsschiff des alten, zerbrochenen deutschen Kaiserreiches mit viel Geschick in das Fahrwasser einer verfassungsgemäßen parlamentarischen Demokratie, die er mit allen Mitteln gegen Putschversuche von rechts und links verteidigte.
Die politische Situation Deutschlands war bei Eberts Amtsantritt mehr als chaotisch. Die Abdankung Kaiser Wilhelm II. nach dem Debakel des verlorenen Krieges im November 1918 hatte ein Machtvakuum hinterlassen, das keine der unterschiedlichen politischen Richtungen auszufüllen imstande war. Streiks, Massendemonstrationen und Revolten begleiteten den Zerfall des Hohenzollern-Reiches. Die erschöpfte Bevölkerung wollte nur eins: Das Ende des Krieges und der katastrophalen Versorgungslage.
Friedrich Ebert, der Führer der Mehrheitssozialdemokraten, gehorchte in dieser verworrenen Situation dem Gebot der Stunde und übernahm trotz rechtlicher Bedenken am 9. November 1918 das Reichskanzleramt, das ihm vom letzten kaiserlichen Kanzler, Prinz Max von Baden, angetragen worden war. Der 1871 geborene Sohn eines Heidelberger Schneidermeisters stand doktrinären Parteiprogrammen und ideologischen Staatstheorien von jeher fern. Er, der gelernte Sattlerhandwerker, der aus eigener Erfahrung die sozialen Probleme kannte, trat als Gewerkschaftler, Bremer Kommunalpolitiker und SPD-Politiker im Reichstag stets für ideologiefreie, praktische Lösungsansätze ein. Bei Kriegsausbruch war dem Pragmatiker die Landesverteidigung wichtiger als das Parteiprogramm: Ebert stimmte für die Bewilligung von Kriegskrediten und beteiligte sich an der Politik des „Burgfriedens“.
Als er nach Zusammenbruch des alten Regimes selbstmit der Regierungsverantwortung betraut wurde, steuerte er ebenfalls einen aus praktischen Erwägungen gemäßigten Kurs an. Den Aktivitäten rechter und linker Kräfte ersuchte er zuvorzukommen, indem er einerseits ein Zweckbündnis mit den alten Institutionen Militär und Bürokratie schloß, andererseits aber auch den linken Flügel befriedigte, so die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), die er in die neu gebildete provisorische Regierung miteinband, und so auch die Arbeiter- und Soldatenräte, die er als Träger der Revolution erkannte.
Sein Lavieren zwischen den politischen Fronten bescherte Ebert einen Zeitgewinn, der es ihm ermöglichte, die Wahlen zur Nationalversammlung zu organisieren. Am 19. Januar 1919 ging das Wahlvolk zu den Urnen und bescherte den gemäßigten Parteien, SPD, Zentrum und Deutsche Demokratischer Partei, eine Dreiviertelmehrheit. Ebert hatte sein Ziel erreicht: Der Weg für eine parlamentarisch-demokratische Republik war frei. Die Ausarbeitung einer Verfassung und eines Friedensvertrages waren die dringlichsten Aufgaben der Nationalversammlung in Weimar.
Ebert selbst bescherte die Weimarer Verfassung eine besonders starke Stellung als Präsident. Er konnte den Reichstag auflösen, in Notzeiten den Ausnahmezustand verhängen, Volksentscheide herbeiführen und das Militär gegen innenpolitische Gegner einsetzen. Von seiner Machtfülle machte Ebert reichlich Gebrauch und steuerte das Land einigermaßen sicher durch Spartakus-und Kommunistenaufstände, durch Kapp-Putsch (1920) und Hitlerputsch (1923). Sein Bündnis mit den Militärs, seine Zugeständnisse an die Konservativen, die Beibehaltung der personellen Spitze in Heeresleitung und Verwaltung ließen ihn in den Augen der Linken als „Verräter“ erscheinen.
Selbst die eigene Partei versagte Ebert zuletzt die Gefolgschaft und erwog seinen Parteiausschluß. Den konservativen Kreisen war „Eberts Fritze“, wie er spöttisch genannt wurde, dagegen nicht rechts genug. Seine Beteiligung an einem Munitionsarbeiterstreik im Jahr 1918 wurde ihm zum Vorwurf gemacht – die „Dolchstoßlegende“ zeigte ihre Wirkung.
Der Präsident der Republik stand am Ende seiner Amtszeit von allen verlassen da. In zahllosen Beleidigungsprozessen kämpfte er um seine persönliche Ehre und um die Würde des Staatsoberhauptes. Verbittert und verkannt starb der Mann, der für den Erhalt der Demokratie in Deutschland gekämpft und dabei nicht erfolglos geblieben war, am 28. Februar 1925. Keine zehn Jahre später wurde auch die Demokratie zu Grabe getragen.
Bildunterschrift: Erster deutscher Reichspräsident: Friedrich Ebert und Die erste Reichsregierung mit Philipp Scheidemann als Kanzler: Die drei größten Parteien – Mehrheitssozialisten, Zentrum und Deutsche Demokratische Partei – bilden die Weimarer Koalition
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 18.02.1994
Weiterführende Quelle: Biographie Friedrich Ebert
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