Vor 50 Jahren vernichteten englische und amerikanische Bomber die Stadt – Zahl der Opfer schwankt zwischen 35.000 und 350.000 – Augenzeuge erinnert sich
Fasching ‚45. Es ist ein Vorfrühlingstag, wie er schöner nicht sein kann. Kinder lachen in Dresdens Straßen, Clowns, Cowboys und Indianer, Prinzessinnen und Rotkäppchen mit blonden Zöpfen. Die Stadt an der Elbe scheint so weit weg vom Krieg zu sein wie der Himmel von der Erde. Hier gibt es nicht einmal Bunker. Werden Dresdner darauf angesprochen, lächeln sie: „Bei uns passiert nischt.“. Deshalb sammeln sich Tausende Flüchtlinge, die aus dem Osten kommen. Sie suchen Schutz hier und fühlen sich vor Angriffen sicher. Und vor Bomben – gewiß.
Die Menschen sind dennoch beunruhigt. Die Russen rücken Stunde um Stunde näher, Dresden hofft auf die Westmächte, hofft, daß Engländer oder Amerikaner, die sich bis ins Erzgebirge vorgekämpft haben, die Stadt befreien. Warum nur rücken sie nicht weiter auf Dresden vor? Karl-Ludwig Hoch, 15 Jahre alt, kann sich die Sachen nicht erklären. Er wohnt mit seiner Mutter am Elbhang in Loschwitz, einem Villenvorort. Am Vortag hatte er im Garten ein großes Loch ausgehoben und Silber und Porzellan ganz tief vergraben. Das wollten sie nicht mitnehmen auf die Flucht, und die Russen sollten es nicht bekommen.
Am 13. Februar bittet die Mutter ihren Sohn: „Junge, mach doch noch ein paar schöne Bilder von Dresden! Wir müssen bald fort.“ Und so steigt Karl-Ludwig Hoch mit seinem Fotoapparat auf den Dachboden. Er fotografiert die nahegelegene Loschwitzer Kirche, einen Bau von George Bähr, von jedem Meister, der auch die Frauenkirche errichtet hatte. Dann genießt Karl-Ludwig den Blick ins Elbtal, sieht in der Ferne jene Silhouette, die unzählige Maler und andere Künstler inspiriert hatte: die Elbe mit ihren Brücken und der Brühlschen Terrasse, die Katholische Hofkirche, Schloß und Zwinger, Italienisches Dörfchen, Semperoper und natürlich die Frauenkirche, die mit ihrer steinernen Glocke alles auf sanfte Weise dominiert.
Fotografieren kann Karl-Ludwig seine Heimatstadt an jenem 13. Februar nicht. Die Nachmittagssonne meint es an diesem Faschingstag gar zu gut und blendet. „Ich werd‘ die Aufnahmen gleich morgen früh machen“, denkt er, „da ist Aschermittwoch.“ Unverrichteter Dinge packt er seine Kamera ein.
Ungefähr zu jener Stunde, da der Dresdner Junge vom Dachboden hinabsteigt, klettern in England Soldaten in ihre Bomber. „Während sich ein Bombengeschwader nach dem anderen erhob, während Jonny und seine Kameraden gleichmütig die Kinnbacken bewegten und die Kaugummis von einer Seite auf die andere schoben, ging eine Stadt ahnungslos zur Ruhe“, schreibt Axel Rodenberger, ein Dresdner Schriftsteller, der Augenzeugenberichte aus jener Zeit sammelte. Er erzählt von Jonny und den anderen: „Jonny hatte schon manchen Einsatz geflogen, aber diesmal schien es eine ganz große Sache zu werden. Damned“ Soweit er blicken konnte – Bomber an Bomber. Ein ganz dicker Einsatz.
Jonny hatte Zeit, an seine Familie zu denken. Sicher hatte jetzt seine Frau mit den Kindern zu Abend gegessen und die Kleinen ins Bett gebracht. Jonny lächelte in Gedanken. Na, bald würde er wieder zu Hause sein. Und die Motoren dröhnten ihr hartes Lied. In den Schächten ruhten die Bomben…
Diesmal sollten sie eine Stadt treffen, die noch nichts abbekommen hatte. Wie hieß sie doch gleich „Ach so, ja – Dresden! Irgendeine Stadt, irgendwo in Germany.“
„Vater unser“
Gegen 22 Uhr begannen die Alarmsirenen zu heulen, erinnert sich Karl-Ludwig Hoch. Er hörte regelmäßig Flaksender, aber da die Bomber nur im Raum Magdeburg gemeldet wurden, waren sie alle beruhigt. Plötzlich kam die Meldung: „Der Spitzenverband im Anflug auf MH 1.“ Das war ja schon Meißen! Er schrieb das später in sein Tagebuch. Darum kann er es heute, ein halbes Jahrhundert danach, genau berichten: „Mutti und ich lagen am Boden und hielten uns fest, die Hände verkrampft.“ Sie versuchten zu beten: „Vater unser im Himmel“, und es donnerte und krachte und heulte, „vergib* uns unsere Schuld.“ Die Hölle brach los, und jemand im Keller stieß hervor: „Unser schönes Dresden.“
Tausende Wunder und Kostbarkeiten. „Blühe, deutsches Florenz, mit deinen Schätzen“, schrieb Johann Gottfried Herder einst. Jetzt prasselten Tausende Bomben herab. Glutrot färbte sich der Himmel. Es regnete Feuer. Die Luft brannte, und Menschen wurden wie von Geisterhand in die Flammen gezogen. Sie rannten lodernd wie Fackeln umher. Schreie. Das Wasser in den Brunnen am Altmarkt begann zu kochen. Blankes Entsetzen.
Und als die Menschen zwei Stunden später glaubten, es sei vorbei, auf den Elbwiesen und im Großen Garten auf der Erde lagen wehrlos wimmernd und flehend nur noch, bombte und feuerte es ein zweites Mal vom Himmel. Am Morgen darauf noch ein drittes Mal. Dresdens Stunde hatte endgültig geschlagen. Elbflorenz am Aschermittwoch – es war nur noch ein Trümmermeer.
Es schmerzt Pfarrer Karl-Ludwig Hoch noch heute, daß er an jedem 13. Februar die Fotos nicht gemacht hatte. In seiner Wohnung ist das alte Dresden allgegenwärtig. Skizzen und Bilder hängen an den Wänden, einige hat er selbst gemalt. Der Blick fällt auf die Frauenkirche, auf jenem Schuttberg mit den zwei in den Himmel ragenden Stümpfen. Der Pfarrer erkannte in ihnen immer zwei Hände, die zum Klagegebet hochgestreckt sind. „Kyrie eleison“, sagt er, „Herr, erbarme dich!“ Vor zwei Jahren begann der Wiederaufbau dieser Kirche.
Morgen hält Pfarrer Hoch eine Totenmesse in seiner Gemeinde in Dresden-Plauen. Der Theologe wird nicht nur vom Grauen aus jener Nacht berichten. Nein, erinnern wird er auch an den 9. November 1938. An diesem Tag stand er mit der Mutter am Elbhang. Sie sahen einen Rauchpilz. Die Synagoge an der Brühlschen Terrasse brannte. Und der Rabbiner, so erzählte man sich später, wollte das Heiligste retten: die Thorarolle mit den zehn Geboten. Aber die Nazis ließen es nicht zu. So verbrannte auch das Gebot: „Du sollst nicht töten, nicht begehren Deines Nächsten Haus.“ Es verbrannte sieben Jahre vor Dresden.
Erinnerung an Rotterdam
Erinnern wird Pfarrer Hoch auch an Rotterdam. Hier hatte er Theologie studiert, und eines Tages vom einzigen Kirchturm, der nicht im Krieg zerstört worden war, auf die Stadt hinabgeblickt. Sie war bereits 1940 im Hagel deutscher Bomben untergegangen – vier Jahre vor Dresden.
Eine Strafe Gottes? „Ja“, denkt der Pfarrer, „Dresden – das war wie bei Sodom und Gomorrha.“ Eines konnte er aber nie begreifen: „Warum haben sich Engländer und Amerikaner am 13. Februar 1945 mit Hitler auf die gleiche Stufe gestellt? Die waren keinen Deut besser“ sagt er voller Zorn.
Bis heute, die Sache ist nicht recht zu fassen, spekulieren Menschen nun über die Zahl der Toten. Die Angaben schwanken zwischen 35 000 und 350 000. Der Nazi-Propaganda paßten viele Tote besser ins Konzept. Nach dem Krieg sorgten Amerikaner und Engländer dafür, daß man nicht gar so hohe Zahlen in die Geschichtsbücher schrieb; allzu schrecklich sollte die Sache nicht gewesen sein. In späteren Jahren neigte man wieder zu höheren Zahlen. Die Angriffe kamen schließlich von den „Imperialisten“.
„Jetzt sprechen sie wieder von 35 000 Toten“, schüttelt Pfarrer Hoch den Kopf. Aber er kann es sich erklären. In diesen Tagen, da Dresden zum Gedenken höchste Gäste aus England und Amerika erwartet, ist die kleiner Zahl doch „irgendwie angenehmer”. Die Wahrheit 50 Jahre danach?
Viele Dresdner müssen nicht spekulieren. Sie erlebten die grausame Wahrheit. Anfangs holten sie die Toten noch aus den Kellern und begruben sie auf Friedhöfen und in Massengräbern. Das schafften sie dann nicht mehr. Trupps mit Flammenwerfern räucherten die Keller aus. Sie arbeiteten sich von Keller zu Keller voran. Fürchterlicher Gestand stieg zwischen den Trümmern hervor. Und auf dem Altmarkt loderten die Scheiterhaufen. Tag für Tag. Bis in den Frühling hinein.
Bildunterschrift: Dresden nach den Angriffen: Anfangs wurden die Toten noch gezählt. Später errichtete man Scheiterhaufen und brannte mit Flammenwerfern die Keller aus, in denen Tausende vergeblich Schutz gesucht hatten.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 11.02.1995
Weiterführende Quelle: Abschlussbericht der Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945
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