Seine Bilder machten Geschichte, doch sein Name blieb zumindest im Westen weithin unbekannt. Jewgeni Chaldej erzählt nach 50 Jahren auch die Geschichten zu seinen Fotos. Sei es das Hissen der Siegerfahne auf dem Berliner Reichstag am 2. Mai 1945 oder die Atmosphäre der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 – der Fotoreporter, der mit der Kamera an entscheidenden Ereignissen des Zweiten Weltkrieges dabei war, teilt interessante Zeitgeschichte mit.
Mit Stalin war nicht gut Kirschen essen. Der Diktator, der sich im Krieg siegreich behauptete hatte, war bei der Potsdamer Konferenz Ende Juli 1945 die Hauptperson. Amerikas Präsident Truman und der britische Premier Churchill beziehungsweise Attlee nach dessen Abwahl unterlagen der Suggestionskraft des schneeweiß uniformierten Generalissimus. Das wenigstens behauptet sein Fotograf Jewgeni Chaldej, von dem jetzt im Berliner Nicolai Verlag der Bildband „Von Moskau nach Berlin“ erschienen ist.
Der heute 78jährige war im Sommer 1945 unter zahlreichen sowjetischen Presseleuten ausersehen worden, die Großen Drei während der Berliner Konferenz, die später nur noch Potsdamer Konferenz hieß, abzulichten. Chaldej hat bei der Buchvorstellung im Schloß Cecilienhof die Leica umgehängt, die er damals für seine Fotos benutzte, die um die Welt gingen und das Bild eines leutselig lächelnden, immer zu Scherzen aufgelegten Stalin verbreiteten. In Wirklichkeit ließen sich die Spannungen zwischen Ost und West während der Beratungen am runden Tisch, heute Hauptattraktion bei den Führungen durch das Schloß Cecilenhof, und außerhalb des offiziellen Programms nur mühsam überbrücken, erinnert sich Chaldej.
Der Unterschied zwischen Stalin auf der einen sowie Churchill und Truman auf der anderen Seite sei riesig gewesen. Der Generalissimus habe es seinen Verhandlungspartner verübelt, daß sie kamera- und medienwirksam mit dem Flugzeug im besiegten Deutschland landeten, während er selber bei Nacht und Nebel unerkannt aus der Eisenbahn kletterte.
Beim Gipfeltreffen Ende Juli 1945 im Schloß Cecilienhof verschwendete niemand einen Gedanken an Schauprozesse und Massenexekutionen, die die Sowjetunion erschüttert hatten. Die westlichen Führer ergingen sich in Lobessprüchen an Stalins Adresse und überhäuften ihn mit Orden. Der rote Zar kam genau eine Minute vor 10 Uhr in den großen, eichengetäfelten Verhandlungssaal, erzählt Chaldej. Truman und Churchill ordneten bereits ihre Papiere. Immer, wenn der Marschall durch die Tür kam, sprangen der Amerikaner und der Brite samt Gefolge hoch und nahmen den lässigen Gruß des Georgiers ehrerbietig entgegen. „Setzen“, sagte Stalin, und artig wie Schüler pflanzten sich die anderen Delegationsteilnehmer in die Sessel.
Diese Episode charakterisiere, so Chaldej, das mit dem Ende des Krieges eiskalt gewordene Verhältnis zwischen Ost und West. Der Vorfall steht nicht in den Protokollen. Er wurde später von Augenzeugen kolportiert. Auch nicht der zaghafte Versuch von Churchill und Truman, dem pfeiferauchenden Sowjetherrscher die Stirn zu bieten. Sie nahmen sich vor, beim nächstenmal sitzenzubleiben. Stalin kam herein, stutzte, zuckte mit der Hand zurück. Die Schrecksekunde war wie eine Ewigkeit. Doch dann versagten die Neven der Mächtigsten der westlichen Hemisphäre, und wie unter einem Zwäng taten sie, was Stalin von ihnen erwartete. Brav standen sie auf und setzten sich, als sich der kleine Mann triumphierend niedergelassen hatte. “Er hatte sie alle fest im Griff“, schmunzelt Chaldej noch heute.
Chaldejs Bilder gingen um die Welt. Doch von wem sie stammen, war, wenigstens im Westen, nur Experten bekannt. Sie haben ihm mittlerweile einen Ehrenplatz im Pantheon der Fotografie des 20. Jahrhunderts zugewiesen. Zu Recht gilt er unter Kennern als der russische Robert Capa. Seine Kriegs-Fotos, auch die vom zerstörten Berlin, waren vor drei Jahren auf einer Ausstellung in Moskau gezeigt worden. Die eindrucksvollsten wurden in den Bildband aufgenommen. Jewgeni Chaldej hofft, daß seine Leica nie wieder solches Grauen und Entsetzen im Bild festhalten muß. Er habe den Deutschen vergeben, und er freue sich, das Boris Jelzin die ehemaligen Kriegsgegner „liebe Freunde“ genannt hat. Nie vergessen will der Fotograf allerdings die Greuel, die von Deutschen an seinen Landsleuten begangen wurden.
Ob Stalin, Truman und Churchill und nach ihm Attlee am schweren runden Eichentisch in Papieren wühlten oder plaudernd in Korbsesseln saßen, ob sie rauchten, eine Treppe bestiegen oder von einer Balustrade winkten, ob sie sich mit Untergebenen unterhielten oder ihnen den Rücken kehrten – die Fotografen mußten blitzschnell arbeiten und hatten sofort zu verschwinden. Das bekannte Bild am runden Tisch, auf dem der Sowjetdiktator in Siegerpose dargestellt ist, sei nur durch Zufall zustande gekommen, sagt der alte Herr mit der starken Brille. Genau drei Minuten habe er für die Aufnahme gehabt. Zwei seien schon ungenutzt verstrichen, weil Stalin, das Gesicht gesenkt, in Papieren blättert. Ob der neben ihm sitzende Außenminister Molotow das Problem des um sein Motiv bangenden Chaldej erkannt hat oder nicht – er richtete eine Frage an Stalin, und der schaute strahlend nach oben. Klick – ein Foto, das um die Welt ging, war geschossen.
Nach dem Krieg arbeitete Chaldej für die Parteizeitung „Prawda“. Doch der berühmte Fotograf wurde entlassen, angeblich, weil es für nichts zu tun gab. In Wahrheit waren es andere Gründe, weiß Chaldej, denn er ist Jude. Und Juden hätten bei hochrangigen „Organen“ damals und auch später nichts zu suchen: „Pogrome gibt es bis heute, obwohl es Stalin nicht mehr gibt. Unter Breschnew und Chruschtschow gab es auch Pogrome, immer wieder. Im Paß steht das Kainsmal, daß du ein Jude bist – das ist es“, sagt Chaldej. Von Stalin könne man nicht sagen, er sei groß oder er war schrecklich. „Beides gehört zusammen. Er war zugleich groß und schrecklich.“
Bildunterschrift: Momentaufnahme vor Beginn der Potsdamer Konferenz Ende Juli 1945: ein sichtlich gelöster Stalin (links) mit Truman (Mitte) und Churchill (rechts)
Im Korbsessel, in dem Stalin saß: Jewgeni Chaldej 1945
Die Siegesfahne auf dem Reichstag. Das wohl bekannteste Foto Chaldejs fehlt in keinem Geschichtsbuch
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 25.11.1994
Weiterführende Quelle: Jewgeni Chaldej
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