Vor 50 Jahren räumten Briten und Amerikaner jene deutschen Gebiete, die sie im Zuge der letzten Kampfhandlungen erobert hatten. Die Rote Armee rückte vor. Ohne eigenes Zutun wurden die damals Lebenden und Nachgeborenen in ein System gestellt, daß die neuen Besatzer mitbrachten.

Anfang Juli 1945 erfolgte der Besatzungswechsel. Gemäß alliierter Vereinbarungen verließen Amerikaner und Briten die von ihnen besetzten Gebiete der sowjetischen Besatzungszone, so auch das westelbische Territorium der Provinz Sachsen und den Freistaat Anhalt. Ein Teil der Deutschen, vor allem aus den besitzenden Schichten, schloß sich ihnen an. Firmen schafften ihre Maschinen und Patentunterlagen weg. Wer blieb, harrte besorgt der Dinge, die da kommen würden.

Von den Kommunisten mit roten Fahnen und Plakaten begrüßt, rückten jedoch keine strahlenden Sieger, sondern abgekämpfte Rotarmisten mit ihren Pferdegespannen und Panjewagen ein. Zwar gab es nicht die befürchteten massenhaften Plünderungen und Vergewaltigungen, aber Übergriffe waren an der Tagesordnung. Und mit dem Aufbau des sowjetischen Militärregimes kam es zu den ersten politischen Verhaftungen.

Die Räumung und das Nachrücken der Roten Armee entsprach den Plänen für die Besetzung Deutschland. Im nachhinein galt das als verpaßte Chance, einen Teil Europas vor sowjetischer Unterdrückung zu bewahren. Doch diese Chance hat nie bestanden.

General Eisenhower, Oberbefehlshaber der Westalliierten, entschied am 28. März 1945, entlang der Achse Erfurt – Leipzig – Dresden einen Keil nach Osten zu treiben. Die rein militärische Erwägung, durch eine Verbindungmit der Roten Armee die deutschen Truppen zu spalten, bestimmte diesen Entschluß. Churchill kritisierte ihn, denn er wollte durch die Einnahme Berlins den Sowjets westliche Stärke signalisieren. Sonst könne sich der Eindruck, „daß sie an unserem gemeinsamen Sieg den Löwenanteil hatten, über Gebühr bei ihnen festsetzen, und kann sie das nicht in eine Stimmung bringen, die in der Zukunft zu ernsten und formidablen Schwierigkeiten führen wird?“, schrieb Churchill am 1. April an US-Präsident Roosevelt. Nach seiner Ansicht hielt Stalin sich nicht an die Vereinbarungen von Jalta.

Wenn aber Berlin schon nicht genommen wurde, so wollte Churchill durch eine Besetzung von Teilen der sowjetischen Zone Verhandlungsmasse gegenüber Stalin sichern. Roosevelt lehnte ab, doch die Lage änderte sich mit seinem Tod im April 1945. Sein Nachfolger Truman war für eine härtere Gangart. Am 23. April lehnte Truman die von den Sowjets gewünschte Einladung der von den polnischen Kommunisten gebildeten polnischen Regierung zur ersten Sitzung der UN ab, und am Tag der deutschen Kapitulation ließ er die Lieferungen von Gütern an die UdSSR einstellen.

Am 12. Mai schrieb Churchill sein berühmtes Telegramm, in dem er Truman warnte, vor der sowjetischen Frönt sei ein eiserner Vorhang niedergegangen, und niemand wisse, was dahinter vorgeht. Churchill sah ganz Ostmitteleuropa sich unter Stalins Knute beugen. Er wollte dem sowjetischen Einfluß Einhalt gebieten und schlug Truman vor, die Besatzungszonen zu ändern. Um Druck auszuüben, wollte Churchill die westlichen Truppen in der sowjetischen Zone lassen.

Die deutsche Bevölkerung blieb über den Verlauf der alliierten Debatte über einen Abzug im Dunkeln. Doch die Frage, ob die Rote Armee komme, „beherrscht jedermanns Gedanken“, und anders als in anderen Regionen zahlten die Leute kaum Geld ein, „beispielsweise wird aus Magdeburg ein regelrechter Run auf die Banken berichtet“, es gab trotz sowjetischer Kontrollen viele Flüchtlinge, so der US-Geheimdienst.

Churchills Position war jedoch schwach. Zwar konnte man sich seinen Argumenten schwer entziehen: In Polen saß eine kommunistische Regierung, und die Sowjets verschleppten die in Jalta vereinbarten Verhandlungen über eine neue Regierung; in Rumänien hatte noch während der Konferenz von Jalta ein von Moskau gesteuerter Staatsstreich begonnen;  Bulgarien, Ungarn und die Tschechoslowakei standen unter sowjetischer Kontrolle, und in Wien gab es seit dem 27. April eine von den Sowjets im Alleingang eingesetzte Allpartienregierung.

Doch gab es seit September 1944 eine Vereinbarung über die Besatzungszonen. Die Sowjets veröffentlichten sie am 4. Juni, um Druck auszuüben. Auf den erreichten Positionen stehenzubleiben, wäre Vertragsbruch gewesen. Truman wollte zwar amerikanische Interessen deutlicher vertreten als Roosevelt. Doch von der Politik des „containment“, der Eindämmung, war er noch weit entfernt. Marschall Schukow hatte bei der ersten Sitzung des Kontrollrats am 5. Juni klargemacht, der amerikanische Rückzug sei unabdingbare Voraussetzung für die gemeinsame Verwaltung Deutschlands. Eine Konfrontation mit der UdSSR wollte die US-Regierung nicht, die als stärkerer Partner die Politik des Westens bestimmte. Die Situation sollte vor der weltpolitisch brisanten Potsdamer Konferenz entspannt werden. So zogen sich Amerikaner und Briten am 1. Juli zurück.

Es kam zu dramatischen Fluchtaktionen, regelrechten Völkerwanderungen in letzter Minute. Bis zum 5. Juli hatte die Rote Armee die Gebiete übernommen. Die Entnazifizierung wurde genutzt, um Mißliebige, die sich gegen die Installierung eines neuen totalitären Systems wandten, aus dem Weg zu räumen. Churchill behielt mit seinen Befürchtungen recht. Doch im Frühsommer 1945 gab es keine Chance Stalin aufzuhalten.

Die Sowjets gingen zur Tagesordnung über. Laut Befehl des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration, Marschall Schukow, vom 9. Juli 1945 wurden in den drei Ländern und zwei Provinzen Militärverwaltungen eingerichtet. An die „Spitze der Sowjetischen Militärverwaltung der Provinz Sachsen, in deren Grenzen das föderale Land Anhalt einzuschließen ist“, traten Generaloberst Kusnezow und zwei Stellvertreter. Der Verantwortliche für Zivilangelegenheiten, Generalmajor Kotikow, wird zum wichtigsten Ansprechpartner für die deutschen Behörden und Politiker.

Bildunterschrift: Das Leben geht weiter – Soldatengräber an der Havel und Badende im ersten Sommer nach dem Kriege.

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 30.06.1995

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Weiterführende Quelle: Protokoll betreffend die Besatzungszonen und die Verwaltung von „Groß-Berlin” (12. September 1944)

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