Prozeß der Aussöhnung kommt nicht voran – Wahlkampf in Tschechien erschwert Annäherung
Es bedarf keines Paukenschlags in der Tschechischen Philharmonie, um Alarmüber den Zustand der deutsch-tschechischen Beziehungen zu schlagen. Auch wenn Chefdirigent Gerd Albrecht heute seine Pressekonferenz zum Forum eines hingedonnerten Rücktritts macht, es ist nur ein Symptom. Zwar befürchtet niemand ein spektakuläres Zerwürfnis – dazu läuft der Austausch im Alltag und auch auf diplomatischen Kanälen zu konstant. Aber der ohnehin verspätete Prozeß der Aussöhnung kriselt vor sich hin. Der vielzitierte Schlußstrich wird nicht gezogen.
Das Jahr 1995 war als Termin für die „Erklärung“ angesetzt, die mit den Mißständen und Mißverständnissen ein Ende machen sollte. Diese Chance ist nun jedoch vertan. Denn jetzt herrscht in Tschechien Wahlkampf, eine schlechte Zeit für den Ausgleich mit ungeliebten Partnern. Wenn der Prager Regierungschef Vaclav Klaus, Vorsitzender der großen bürgerlichen Regierungspartei und obendrein ein besonders selbstbewußter Mann, auf private Einladung in Bonn ist und Helmut Kohl keine Zeit für ihn findet, dann kann man sich gut vorstellen, wie solche Geste zurückwirkt. Das Verhältnis zwischen den beiden Ländern, die sich in der Geschichte gegenseitig so viel heimgezahlt haben, wird nach den gewalttätigen Abrechnungen nicht über die anschließenden Aufrechnungen hinauskommen.
Betrachte man es auf diese Weise, so sind die Deutschen sogar einen Schritt weiter. Ohnehin war es nie strittig, daß Hitlers Einmarsch in die Tschechoslowakei das Ergebnis einer völkerrechtlichen Erpressung war. Genauso wenig ist zweifelhaft, daß das deutsche Regime in Böhmen und Mähren verbrecherisch war. Seit kurzem ist endlich klargestellt, daß sich die Bundesrepublik nicht vor der Entschädigung für NS-Opfer drücken will. Die deutsche Seite weigert sich aber, den Vermögens- und Rückkehransprüchen der nach dem Krieg vertriebenen Sudetendeutschen abzuschwören, so wenig dies in der Realität eingefordert werden könnte. So lange aber der Schatten eines Restitutionsrechtes nicht getilgt ist, wollen die tschechischen Unterhändler nicht die Vertreibung als das Unrecht brandmarken. Das Geschehen in Prag bei Kriegsende hießt offiziell „Aussiedlung“.
Die Einziehung des Eigentums schuldloser deutscher Mitbürger nach den „Benesch-Dekreten“ werde zwar bedauert, aber nicht zurückgenommen, weil man ja nicht nachträglich die Rechtsordnung eines ganzen Volkes ungeschehen machen könne, so Präsident Vaclav Havel. Der hat sich immerhin von der vergangenen Unrechtsordnung so weitgehend distanziert hat, daß er Gefahr lief, sich seinem eigenen Volk zu entfremden. Warum man ihn vor fünf Jahren ohne Antwort gelassen hat, warum seither, nach dem Eindruck des durchaus verständnisvollen Außenministers Josef Zielneniec, „mit Lust zwei Monologe geführt werden“, ist in Bonn niemals angemessen geprüft worden.
Auch ohne Schlußstrich, auch ohne die Zauberformeleiner Erklärung werden die beiden Staaten miteinander auskommen. Die tschechische Wirtschaft entwickelt sich glänzend, entsprechend eng ist die Kooperation. Eine Aufnahme in die Europäische Union stößt nur insofern auf Bedenken, als sie ein Präzedenzfall für Anfragen von weniger genehmen Ost-Staaten wäre.
Es gehe ja auch so, werden manche sagen. Doch wäre dies sehr eng gedacht. Die offenkundige Unfähigkeit, mit einer historischen Lektion umzugehen, diskreditiert nachträglich die anderen, besser gelungenen Versuche dieser Art. Das größere Deutschland müßte sich diplomatisch besonders grazil bewegen. Der Titel des „häßlichen Deutschen“ wird rasch verliehen, ohne daß er deshalb wohlfeil wäre.
Bildunterschrift: Tschechen und Deutsche (drei Karten mit Erläuterungen)
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 30.01.1996
Weiterführende Quelle: „Ein Friedhof zur deutsch-tschechischen Versöhnung“
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