Sozialdemokraten sehen Nachkriegsordnung in Gefahr
Die Debatte im deutschen Bundestag über die Belastungen im deutsch-tschechischen Verhältnis hat die Prager Sozialdemokraten in Aufruhr versetzt. Oppositionsführer Milos Zeman verlangte gestern eine Sondersitzung des Parlaments über die Beziehungen zu Bonn. Gleichzeitig forderte er die Prager Regierung auf, „klar, unzweideutig die gegenwärtigen Aktivitäten der konservativen deutschen Regierung zu verurteilen“, die mit der Vorbereitung der gemeinsamen Grundsatzerklärung zur Aussöhnung zwischen beiden Völkern zusammenhängen.
Zeman erklärte, seine Partei sei „extrem besorgt“, daß Bundesaußenminister Klaus Kinkel die Potsdamer Beschlüsse von 1945 außer acht lasse, die nach Zemans Aussage eine Rechtfertigung der Vertreibung der Sudentendeutschen darstellen. Dies sei der Versuch, das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges in Frage zu stellen. In dem Abkommen vom 2. August 1945 hatten die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die Ausweisung und Enteignung von drei Millionen Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei gebilligt. „Deutschland wird womöglich nicht europäisch werden. Aber könnte Europa deutsch werden“, fragte Zeman.
Die Empörung in der zweitstärksten Partei im tschechischen Parlament folgt zwei Tage nach einer Aktuellen Stunde in Bonn, in der sich Kinkel für eine Versöhnung unter Berücksichtigung sowohl völker- und verfassungsrechtlicher Probleme als auch der Anliegen der Vertriebenen eingesetzt hatte. Politiker von SPD, Bündins90/Grüne und PDS verlangten dagegen einen Eigentumsverzicht der Sudetendeutschen. Seit 1995 arbeiten Bonn und Prag bisher erfolglos an der sogenannten Schlußstricherklärung, die beide Länder miteinander versöhnen soll.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 03.02.1996
Weiterführende Quelle: Deutsch-Tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997
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