Neuer Bildband stützt sich auch auf russische Archive
Die Schlacht von Stalingrad markierte den psychologischen Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges und leitete den Untergang des Dritten Reiches ein. Der Verlust der 6. Armee brach die Moral der deutschen Truppen an der Ostfront, verschaffte der Roten das Armee dringend benötigte Erfolgserlebnis bei der beginnenden Befreiung ihrer Heimat und entlarvte den „Größten Feldherren aller Zeiten“ als strategischen Stümper.
Am Ende des blutigen Ringens in den Trümmern der Industriestadt an der Wolga zwischen September 1942 und Februar 1943 waren 145 000 deutsche Soldaten tot, 45 000 Verwundete wurden ausgeflogen, 90 000 Landser und Offiziere traten nach der Kapitulation der eingekesselten Armee den Marsch in die Gefangenenlager Sibiriens an, und nur 6 000 von ihnen sollten Jahre später nach Deutschland heimkehren.
Nur wenige militärische Entscheidungen haben nachfolgende Generationen so sehr beschäftigt wie der Untergang der 6. Armee. Görings Phrase vom „größten Heroenkampf unserer Geschichte“ wurde noch Jahre nach dem totalen Zusammenbruch akzeptiert. Je gründlicher die Historiker aber forschen, desto unhaltbarer wurde dieses Urteil, die Schlacht an der Wolga entpuppte sich als sinnloses Massensterben, das bedenkenlose Opfer eines größenwahnsinnigen Diktators, der nicht ablassen wollte von seinem fragwürdigen Ziel, die Stadt mit dem Namen des anderen großen Schlächters in diesem Jahrhundert zu erobern.
Eine der Fragen, die wieder und wieder gestellt, aber nie beantwortet wurden: Warum brachen die Truppen nicht aus, als die drohende Einkesselung erkannt wurde? Auch der neue Band zum Thema Stalingrad, herausgegeben vom Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, Guido Knopp, vermag dazu nichts Neues beizutragen. Knopp zeichnet aber einen präzisen chronologischen Verlauf der letzten Tage, in denen der Kommandeur der eingeschlossenen Truppen, General Friedrich Paulus, immer wieder um Erlaubnis zum Ausbruch nachsuchte. Andere Heerführer hätten vielleicht die sturen Durchhalteparolen ignoriert, der Beamtensohn Paulus blieb seinem Führer ergeben bis zuletzt.
Knopp bietet eine Fülle interessanter Informationen. Er beschreibt, wie Hitler aus Verachtung für seine eher vorsichtigen Generäle das Oberkommando an sich riß und wie zaghafte Einwände seiner Militärs gegen die dilettantischen strategischen Versuche des einstigen Gefreiten verstummten. Angereichert wird der großzügig bebilderte Band, der auch Material aus russischen Archiven enthält, durch Auszüge aus Feldpostbriefen russischer und deutscher Soldaten. Das Vorwort schrieb Lew Kopolew, eine sehr persönliche Erinnerung des Schriftstellers, der als Politoffizier Augenzeuge der Schlacht von Stalingrad war.
Der auch rassisch motivierte Terror gegen die Zivilbevölkerung, die Grausamkeit im Kampf Mann gegen Mann, das unsägliche Leid der frierenden und unterernährten Landser – Knopps Band, der bewußt nicht für ein Fachpublikum geschrieben wurde, berücksichtigt alle wesentlichen inhaltlichen Aspekte. Was jedoch die überaus breite Behandlung der Belagerung von Leningrad und des Sturms auf die Festung Sewastopol, in diesem Zusammenhang soll, bleibt Knopps Geheimnis.
Guido Knopp: Entscheidung Stalingrad, C. Bertelsmann, München 1992, 44DM
Bildunterschrift: Ein Vorstoß in der Trümmerwüste Stalingrad: Unter Feuerschutz greifen Rotarmisten eine deutsche Stellung an
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 11.11.1992
Weiterführende Quellen: „Entscheidung Stalingrad“ von Guido Knopp bei Amazon
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