Abgeschossene Amerikaner in Polleben gelyncht – Soldat rette den Navigator
Am 2. November 1944 sprangen US-Air-Force-Navigator Dean Whitaker und sieben seiner Kameraden über dem Mansfelder Land aus ihrem brennenden Bomber. Vier der Besatzungsmitglieder landeten zwar sicher an ihren Fallschirmen – doch sie sollten den Tag nicht überleben.
Daß der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Seifert, ein fanatischer Nazi war, wissen die Menschen von Polleben bei Eisleben, die diese Zeiten miterlebt haben, heute noch. Arno Hensgen (71) hat aus einiger Entfernung beobachtet, was nach der Landung eins Besatzungsmitglieds passierte: „Der Seifert war ja Gutsinspektor und hatte immer so einen wuchtigen Stock dabei. Der Ami lebte noch und lag am Boden, und da hat ihm der Seifert mit dem Stock mehrfach auf den Kopf geschlagen.“
Hensgen – ein Landser auf Urlaub – hat nach eigenen Aussagen den Nazi-Funktionär aufgefordert, die überlebenden Besatzungsmitglieder der Wehrmacht zu übergeben, die in einer nah gelegenen Zuckerfabrik ein Gefangenenlager eingerichtet hatte. Doch Seifert habe ihn, Hensgen, gefragt, ob er Pistole und Munition dabei habe. „Hatte ich natürlich nicht, ich war doch im Urlaub.“
Was anschließend genau passierte, kann über 50 Jahre später nicht mit Sicherheit rekonstruiert werden. Am Ende liegen sechs tote US-Air-Force-Angehörige in und um Polleben: Einer starb, weil sich der Fallschirm nicht öffnete, vier Männer wurden Seifert und anderen Zivilisten umgebracht. Ihre Leichen packte man in Papiersäcke und vergrub sie an der Friedhofsmauer. Ein weiterer toter Flieger wurde in dem Wrack der abgestürzten B-17 („Fliegende Festung“) gefunden, zweien gelang die Flucht.
In Las Vegas (US-Staat Nevada) weiß Dean Whitaker (70) genau, wem er sein Leben zu verdanken hat: „Er war ein junger deutscher Soldat mit einem freundlichen Lächeln und einem leichten Hinken, der mich nach der Landung auf der Wiese aufsammelte und fort in die Gefangenschaft führte. Als die Hatz auf meine Kameraden lief, bot er mir Tee und Kekse an. Das werde ich ihm nie vergessen. Als die nackte Brutalität herrschte, tat er das einzig Richtige und zeigte etwas Menschlichkeit.“
Mehrere hundert amerikanische Flieger – die genaue Zahl ist nicht zu ermitteln – sind nachdem Ausstieg aus ihren abstürzenden Maschinen von deutschen Zivilisten und Militärs gelyncht worden. Whitaker ist mit vier Maschinen abgeschossen worden und erinnert sich noch an die Angst, die die alliierten Flieger damals hatten. „Die Leute waren von der Nazi-Propaganda so aufgeputscht, die haben uns richtig gehaßt. Vor den Zivilisten haben wir uns mehr gefürchtet als vor den Soldaten.“ Arno Hensgen bestätigt das indirekt: „Als ich Seifert fragte, was er denn da tue, sagte er mir, das sei nicht schlimm, denn das seien alles Mörder von deutschen Frauen und Kindern.“
Fünf Monate nach diesem Vorfall kamen US-Truppen nach Polleben. Polnische Zwangsarbeiter erzählten den Soldaten, was passiert war. Die Männer schwärmten aus und verhafteten den Ortsgruppenleiter Seifert. Noch während die Leichen der US-Flieger exhumiert wurden, erstachen amerikanische Soldaten den Nazi-Funktionär, banden seine Leiche quer über die Haube eines Jeeps und fuhren ihn zur Abschreckung durchs Dorf. Zwei Komplizen saßen einige Jahre später vorübergehend im Gefängnis, doch vier weitere mutmaßliche Täter starben als freie Männer. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt, das noch 1994 ermittelt hat, schloß daraufhin die Akte.
Für Dean Whitaker ist der Fall aber noch nicht erledigt. „Ich würde so gerne den jungen Soldaten wiederfinden, der mir damals mein Leben geschenkt hat“, sagt er mit deutlich bewegter Stimme am Telefon, und seine Frau ergänzt: „Wir würden sofort nach Deutschland kommen, um ihm persönlich für seine Anständigkeit und Fairneß zu danken.“
Ortstermin gestern in Polleben. Viele Zeuge der damaligen Ereignisse liegen in ihren Gräbern unweit der Stelle, an der Herbert Newman, Melvin Cohn, Anthony Perry und Leroy Kucharski verscharrt worden waren. Martin Wilke erinnert sich noch an den Mann, dessen Fallschirm sich nicht öffnete, und der auf dem Hof der Wilkes eingeschlagen war. Und er erwähnt „Onkel Hermann”, ein Stabsfeldwebel, der Wehrmacht, der zum fraglichen Zeitpunkt ebenfalls auf Urlaub in Polleben war und der nach dem Krieg seiner Familie erzählte, daß er einst drei abgeschossenen US-Flieger gefangen nahm.
Sollte Hermann Bahn den jungen Dean Whitaker vor dem Wüten des Nazi-Funktionärs uns seiner Helfershelfer gerettet haben? Möglich. Hermann Bahn war damals Anfang 30 und zuvor mehrfach verwundet worden, was vielleicht das leichte Hinken erklärt, an das sich Whitaker noch heute erinnert. Eine endgültige Klärung wird es nicht geben, auch nicht ein Wiedersehen der beiden Männer – Hermann Bahn ist vor vier Jahren gestorben.
Bildunterschrift: Dean Whitaker uns seine Kameraden wurden nach einem Angriff auf Buna abgeschossen. An der Friedhofsmauer von Polleben verscharrte man die Opfer.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 27.04.1995
Weiterführende Quelle: Fliegermorde
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